Online-Podiumsdiskussion: Schubladen und Nadelstiche

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Schubladen und Nadelstiche

Online-Podiumsdiskussion zum Thema Alltagsrassismus

Kai Klose, Hessischer Minister für Soziales und Integration, Hadija Haruna-Oelker, Politikwissenschaftlerin und Journalistin, Thuy-Tien Nguyen, Studentin und Ali Can, Sozialaktivist und Autor sprachen über das alltägliche Erleben von Rassismus und dachten gemeinsam darüber nach, was geschehen muss, damit alle Menschen einer Gesellschaft als gleichwertig anerkannt werden. Die Diskussion wurde von der Journalistin und Autorin Anne Chebu moderiert.

Was ist unter Alltagsrassismus zu verstehen? Wie beeinflussen Erfahrungen von Rassismus die eigene Identität und das Zugehörigkeitsgefühl? Ist sich die Mehrheitsgesellschaft überhaupt darüber im Klaren, dass für viele Mitbürgerinnen und Mitbürger rassistische Erfahrungen Alltagserlebnis sind? Über diese und viele andere wichtige Fragen wurde am Abend des 10. September 2020 in der Online-Diskussion "Alltagsrassismus - Schubladen und Nadelstiche" gesprochen.

Das Format wurde auf YouTube live gestreamt, Zuschauerinnen und Zuschauer des Live-Streams konnten sich per Chat beteiligen. Es lohnt sich auch jetzt noch, das Video anzuschauen.
 

Worum ging es?

Die Podiumsdiskussion schloss an die Netzwerkveranstaltung „Bembel und Baklava - Zugehörigkeit in der postmigrantischen Gesellschaft“ an, mit der 2019 die Möglichkeit für einen Austausch zu einer Bandbreite an Themen eröffnet wurde, die das Zusammenleben und Teilhabechancen in der Migrationsgesellschaft betreffen. Die Netzwerkveranstaltung war auf überwältigende Resonanz gestoßen. Unter dem Titel „Schubladen und Nadelstiche“ wurde nun über Erscheinungsformen von rassistischen Denk- und Handlungsweisen diskutiert. Das Thema wurde von den Gästen auf dem Podium aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet und es wurde ergründet, wie sich Rassismus im Alltag äußert, warum er alle etwas angeht und welchen Beitrag jeder Mensch leisten muss, damit Rassismus nicht länger eine Alltäglichkeit ist, in der Menschen in Schubladen gesteckt und mit Nadelstichen traktiert werden.

Wie äußert sich Rassismus im Alltag?

Eine vielfältige Bevölkerung ist das Erkennungsmerkmal der postmigrantischen Gesellschaft, doch die Tatsache, dass verschiedene Lebensrealitäten nebeneinander koexistieren bedeutet nicht, dass Ressourcen und Zugangschancen gleich verteilt sind. Mitbürgerinnen und Mitbürger, die - teilweise seit mehreren Generationen - selbstverständlich in Deutschland leben und Teil der Gesellschaft sind, sehen sich tagtäglich mit Vorurteilen und Anfeindungen konfrontiert. Durch ein äußerliches oder vermeintlich kulturelles Merkmal werden ihnen Verhaltensweisen und Eigenschaften unterstellt – sie werden in Schubladen gesteckt. Diese Vorurteile schlagen sich in unserer Sprache und in Handlungsweisen nieder, die für von Rassismus betroffene Menschen verletzend sind und konkrete negative Konsequenzen und Nachteile mit sich bringen können.

Was muss geschehen?

Die Diskutierenden bestätigen dies und beschreiben, dass es für sie ein Leben ohne das Gefühl, anders zu sein und dafür auch ausgegrenzt zu werden, nicht gibt. Sie alle berichteten, dass sie von Kindesbeinen an mit rassistischen Stereotypen konfrontiert waren. Dies ist auch in der Corona-Krise auffällig, in der Schuldzuweisung an asiatische Menschen auf verschiedensten Ebenen wahrnehmbar sind. Sie reichen, so wurde berichtet, vom Wechseln der Straßenseite, zu Schlagzeilen in den Medien, die von „der gelben Gefahr“ berichten oder dem „Virus, made in China“ bis hin zu verbalen Anfeindungen von asiatisch markierten Personen. Es sind, hier bestand Einigkeit unter den Diskutierenden, gerade diese Sprachbilder, die verletzen. Hadija Haruna-Oelker, Thuy-Tien Nguyen und Ali Can fordern eine eindeutige Haltung zu jeder Form von Rassismus. Denn nur, wenn rassistische Äußerungen nicht verharmlost oder heruntergespielt, sondern als solche erkannt werden, und zwar mit ihrem ganzen verletzenden Potenzial, kann gegen rassistische Ausgrenzung angegangen werden. Für den Aktivisten Ali Can muss es noch viel weitergehen. Er fordert, dass rassifizierte und migrantisierte Menschen aufhören müssen, sich überall einzufügen und anzupassen: „Lasst uns ein neues Selbstbewusstsein haben, ein neues Selbstverständnis, unsere Freiheit erkämpfen und darauf pochen, dass wir mit der gleichen Würde behandelt werden wie die weiße Mehrheitsgesellschaft.“

 

Staatsminister Kai Klose hob abschließend hervor: „Das höchste Versprechen auf dem unsere Gesellschaft gründet, lautet ‚die Würde jedes Menschen ist unantastbar‘, egal wo er herkommt oder wie er aussieht. Dieses Versprechen wird durch Rassismus gebrochen. Da es das Fundament unseres Zusammenlebens ist, müssen wir alle, nicht nur die Betroffenen, daran arbeiten Rassismus bewusst zu machen und dagegen zu kämpfen.“

Initiatoren der Veranstaltung

Die Veranstaltung „Schubladen und Nadelstiche“ wurde vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration im Rahmen der Integrationsverträge gemeinsam mit vier zivilgesellschaftlichen Integrationsvertragspartnern initiiert. Das gemeinsame Ziel ist es, die Zugehörigkeit und Zusammengehörigkeit aller in Hessen lebenden Menschen zu stärken und die hierfür notwendigen Aushandlungsprozesse in der Gesellschaft zu unterstützen. Mit an Bord waren bei diesem Format die Bildungsstätte Anne Frank, der Hessische Jugendring, das Deutschen Roten Kreuz und der Verband binationaler Familien und Partnerschaften.